Knapp 20 Minuten habe ich gebraucht, um 100 Artikel zu Remote Leadership zu finden. Alle erschienen nach dem 1. März 2020. Kein Wunder, Corona macht die Szene der Schreiber vital. Hundertschaften von Trainern und Coaches wittern neue Möglichkeiten und melden sich zu Wort. Mit Leitfäden, Tipps und Erfahrungsberichten. Alles gut und vieles nützlich. Gleichzeitig war mir angesichts der Flut der Veröffent-lichungen klar: Das Letzte, was die Welt jetzt braucht, ist ein weiterer Remote-Ratgeber. Ich folge mit diesem Artikel einem möglicherweise etwas verrückt, im schlimmsten Falle zynisch klingenden Gedan-ken, der mir, seit dem Entschluss, etwas zum Thema Remote zu schreiben, nicht mehr aus dem Kopf geht. Ohne Anspruch auf Wahr- und Weisheit. Im besten Falle als Impuls für konstruktiv-kritische Auseinandersetzungen zur Frage, welche Chancen in Remote Leadership stecken und wie sie sich nutzen lassen. Jenseits von „Remote: Der nächste Trend, der sich nicht aufhalten lässt und den es zu bedienen gilt“.
Mein Gedanke: Corona leistet einen großen Dienst. Corona exponiert die Schlüsselherausforderung in Sachen Führung im 21. Jahrhundert und zwingt uns Führungskräfte sich ihr zu stellen. Ohne Fluchtweg! Und wichtig: Mein Gedanke steht abstrakt von all der Not, die durch die Pandemie ausgelöst wird und der ich mir zu 100% bewusst bin.
Wirksame Führung im 21. Jahrhundert bedeutet aus meiner Sicht vor allem Loslassen von „command and control“ und damit bewusstes in Kauf nehmen des für Viele unguten Gefühls von Kontrollverlust. Ausgehend von einer Welt, die sich jeden Tag ein Stück schneller dreht, in der heute falsch ist, was gestern richtig war und die nach Mitarbeitern (aus meiner Sicht besser Mitwirkenden) ruft, die Initiative ergreifen, unermüdlich dranbleiben, mutig und fantasievoll Neues denken …
In diesem Zusammenhang geht mir ein Satz durch den Kopf, den ich vor einiger Zeit in der brandeins gelesen habe: „Alles Gute lässt sich nicht verordnen“. Aus meiner Sicht genau der Punkt. Initiative, Mut & Co. entstehen immer von Innen nach Außen – immer freiwillig. Und das, (nur) unter bestimmten Voraussetzungen. Überlegen Sie selbst: Was führt dazu, dass Sie sich zu 100% auf etwas einlassen, es zu Ihrem Ding machen, unabhängig von Hierarchie + Zuständigkeit kooperieren und alles daransetzen, „es“ zum Erfolg zu bringen?
Die moderne Hirnforschung legt die entscheidende Fährte: Menschen tun „das“ – werden zu aktiven Freiwilligen, wenn Sie dazugehören und sich bedeutend fühlen. Heisst: Die Bausteine wirksamer Führung im 21. Jahrhundert sind Empathie, Vertrauen, Beziehung und Selbstbestimmtheit. Und genau diese Bausteine gilt es mit Erfahrungs-wert zu füllen – oder, anders ausgedrückt: Die Schlüsselherausforderung für alle Führungskräfte besteht darin, ihren Mitarbeiter Erfahrungen zu ermöglichen, die ihnen zuverlässig zeigen „mein Chef und meine KollegInnen kennen mich, ich bin erwünscht, mein Beitrag bringt uns erkennbar weiter, ich kann sagen, was ich denke – ohne Angst vor Repressalien, ich kann meine Beiträge in einer Weise leisten, die gut für mich ist … und: ich hab Bock auf das, was wir vorhaben – ich will unbedingt Teil des Erfolgs sein, …“.
Corona „zwingt“ viele Teams in die Remote-Arbeit – die sich von OnSite-Arbeit unter anderem dadurch unter-scheidet, dass sie jedem Remote-Arbeitenden den Fluchtpunkt beschert das zu tun, was für ihn gerade wichtig ist. Damit wirftx Remote alle Mitwirkenden auf ihre Selbstverantwortung zurück, versperrt Führungskräften die Sicht auf das, was, wo und wie läuft und killt so das Wirkpotenzial von „command and control“. Der Dienst, den uns Corona leistet: Führungskräfte sind gezwungen, ihre Aufmerksamkeit ganz und gar auf die beschriebenen Schlüsselbausteine wirksamer Führung im 21. Jahrhundert zu richten.
Meine Positiv-Fantasie: Wir (Führungskräfte) stellen uns dem „Zwang“, freunden uns – über entstehende Nützlichkeitserfahrungen – mit der Art von Führung an, nach der die Zukunft ruft, machen Sie zur Gewohnheit und sorgen so dafür, dass exakt das entsteht, auf was wir so dringend angewiesen sind: Mitarbeiter, die sich selbstorganisiert so aufstellen, wie es die jeweils größte Wirkung verspricht und alles tun, um „Es“ zum Erfolg zu machen.
Zur Frage wie es gelingen kann, unseren Mitarbeitern zuverlässig Erfahrungen im beschriebenen Sinne zu ermöglichen, hier und jetzt nur so viel: Entscheidend ist unsere eigene Haltung. Haltung macht Verhalten – und Verhalten ermöglicht Erfahrung. Wenn wir wollen, dass unsere Mitarbeiter Erfahrungen im vorher beschriebenen Sinne machen, müssen wir ihnen mit einer Haltung begegnen, die Sie als Subjekte – als denkende, interessierte Individuen wahrnimmt, in denen wertvolles Beitragspotenzial und die Bereitschaft steckt, sich ganz und gar auf ein gemeinsames Vorhaben einzulassen.
Wenn Ihnen jetzt Fragen durch den Kopf gehen, wie „was kann ich tun, um Haltung zu identifizieren und zu ändern?“ oder „welches Führungsverhalten ermöglicht meinen Mitarbeitern Erfahrungen im beschriebenen Sinne?“ oder … einfach anrufen oder mailen. Wir denken gerne gemeinsam mit Ihnen … weiter.
Herzlichst
Alexander E. Häussermann